Bis zum Tellerrand gedacht und nicht weiter – das Problem der „lokalen Optimierung“ am Beispiel Flughafen Wien
Lokale Optimierung und „externe Effekte”
Denken auf Systemebene wäre bei der Gestaltung ökonomischer und gesellschaftlicher Systeme wichtig, denn das wohlgemeinte Optimieren von Teilsystemen führt selten zu einem globalen Idealzustand. Diese aus der Mathematik schon lange bekannte Tatsache gilt auch für Entscheidungen im öffentlichen Bereich, insbesondere, wenn verschiedene Ebenen des Staates involviert sind.
Eines der größten Probleme in Österreich ist, dass es im öffentlichen Bereich eine enorme Fragmentierung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gibt. Vollkommen zurecht wird als eines der größten Zukunftsprojekte eine Bundesstaatsreform mit einer kompletten Neustrukturierung und Vereinheitlichung von Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Zahlungszuständigkeiten gefordert. Diese Fragmentierung führt aber zu einer Aufteilung in unterschiedliche Subsysteme, die dann jedes für sich optimiert werden – was selten für die Gesamtheit optimal ist.
Die Grundidee ist dabei ganz einfach: Sind Entscheidungsträger, Zahler und Nutznießer nicht ident, so kommt es in der Regel zu keinen optimalen Entscheidungen, weil sogenannte externe Effekte zu beobachten sind. Diese externen Effekte bedeuten, dass die Entscheidungen und Handlungen des einen Akteurs positive oder negative Effekte auf jemanden anderen haben können. Wer aber nicht alle Konsequenzen seines Handelns (sei es im positiven oder negativen Sinn) trägt, der trifft nur eine optimale Entscheidung für sich selbst und in der Regel nicht im Sinne einer Gesamtbetrachtung.
Beispiele dafür gibt es viele: sei es im Schulsystem, im Bereich Gesundheitsversorgung oder auch im Bereich der Infrastruktur.
Darüber hinaus leiden viele Entscheidungen auch noch unter einem anderen Mangel: oft sind Informationen nicht ausreichend verfügbar oder werden auch nicht korrekt verarbeitet. Bei komplexen Materien liegt dies in der Natur der Sache und lässt sich oft nicht vollständig vermeiden. Transparente Entscheidungsprozesse auf Basis offengelegter Fakten können hier zumindest in gewissem Ausmaß hilfreich sein.
Aktuelles Beispiel: 3. Piste am Flughafen Wien
Ein besonders gutes Beispiel, das symptomatisch für die Schwierigkeiten durch lokale Optimierung ist, stammt ausnahmsweise nicht aus dem Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern oder Gemeinden, sondern aus der aktuellen Gerichtsentscheidung rund um die geplante dritte Piste am Flughafen Wien.
Zu den Eckdaten: Auf Basis der vorliegenden Gutachten ist davon auszugehen, dass die Kapazitäten des Flughafens in einigen Jahren nicht mehr ausreichen werden, um den Flugverkehr abdecken zu können. Somit wird seit Jahren darum gestritten, ob nun eine dritte Piste gebaut werden soll oder nicht. Kürzlich gab es dazu ein negatives Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts. Dass dieses Verfahren inklusive Mediation schon 16 Jahre dauert, wundert wohl kaum jemanden. Dass derartig lange Zeiten der Unsicherheit ökonomisch für Investoren ein nicht unwesentliches Problem darstellen, wohl auch nicht. Interessant ist aber vor allem die Argumentation bei der Abwägung der unterschiedlichen Interessen (es geht also um Optimierung!).
Zentrale Argumente gegen den Bau einer neuen Piste wurden im Bereich des Klimaschutzes und des Bodenverbrauches gefunden, aber auch Fragen der fiskalischen Effekte wurden in durchaus bemerkenswert unsachlicher Weise gewürdigt. Das Beispiel Flughafen Wien zeigt deutlich, was auch auf EU-Ebene bei vielen aktuellen Themen kritisch ist und sogar bei den neuen protektionistischen Ansätzen von Donald Trump Gültigkeit besitzt: wer über den eigenen Tellerrand nicht hinausblickt, mag zwar kurzfristig lokal seinen Nutzen optimieren, langfristig unter Berücksichtigung der Rückkopplungseffekte trifft er jedoch eine vollkommen kontraproduktive Entscheidung und schadet sich damit am Ende selbst.
Tellerränder im Detail: Ausgangslage
Grob gesprochen geht es bei dem Zankapfel Flughafen um eine Abwägung, ob und welche öffentlichen Interessen dadurch gefördert oder gehemmt werden. Vor allem ökonomische und ökologische Aspekte sind dabei von zentraler Bedeutung.
Im Rahmen des Erkenntnisses wird an der Verbesserung des Standortes durch einen Ausbau der Kapazitäten kein Zweifel gehegt, ebenso kommt das Gericht auf Basis der Gutachten zu dem Schluss, dass in Bezug auf die Flugsicherheit deutlich positive Effekte zu erwarten sind:
„Für die Errichtung der dritten Piste sprechen die öffentlichen Interessen an einem zusätzlichen Bedarf an Flugverbindungen und die damit verbundene Standortverbesserung der Ostregion Österreichs sowie die bessere Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen.“
„Auch in Bezug auf die Flugsicherheit wäre die dritte Piste ein Gewinn, wobei jedoch die Instanzen zur Einhaltung der Flugsicherheit immer der Sicherheit den Vorrang einzuräumen haben.“
Positive Standorteffekte, aber fiskalisch nicht relevant?
Doch schon die unmittelbar folgende Aussage regt den Ökonomen zu Widerspruch:
„Keine besonderen öffentlichen Interessen an der Errichtung der dritten Piste bestehen aus steuer- und abgabenrechtlicher Sicht.“
Das ist eine interessante Wertung: Geht man nämlich von projektierten Investitionskosten in einer Größenordnung von rund € 1,5 Milliarden aus, so bewegt sich allein die Umsatzsteuer für die Errichtung in der Größenordnung von etwa € 250 Millionen. Unter der Annahme, dass österreichische Unternehmen hier tätig sind und im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit dadurch auch Gewinne erzielen, sollten auch zumindest hohe zweistellige Millionenbeträge an Gewinnsteuern anfallen. Auch die ohne genaue Detailrechnungen kaum seriös zu quantifizierenden lohnabhängigen Abgaben für die im Zuge des Ausbaus beschäftigten Personen müssten die Hundertmillionengrenze deutlich übersteigen.
Nach unterschiedlichen Studien (z.B. WIFO) gehen vom Flughafen nennenswerte jährliche ökonomische Effekte aus: eine Bruttowertschöpfung von etwa € 5 Milliarden im weiteren Sinne, damit zusammenhängende Arbeitsplätze von etwa 73.000 Personen sowie steuerliche Rückflüsse im Ausmaß von etwa € 1,1 Milliarden sowie Sozialversicherungsbeiträge von noch einmal etwa € 1 Milliarde.
Geht man nun davon aus, dass der Flughafen mit rund 290.000 Flugbewegungen seine Kapazitätsgrenze in den nächsten Jahren erreichen wird (die Verkehrsprognosen rechnen im Jahr 2020 mit einer Nachfrage nach rund 325.000 Bewegungen und im Jahr 2025 bereits mit etwa 365.000 Bewegungen), dann kann z.B. für das Jahr 2025 ein Entgang von 1,25 Mrd. EUR an Wertschöpfung sowie gut 500 Mio. EUR an Steuern und SV-Beiträgen geschätzt werden.
Auch die Besteuerung von Treibstoffen bzw. sonstige Gebühren im Zusammenhang mit der Luftfahrt wären für einen fiskalischen Effekt ebenfalls relevant.
Endet Umweltschutz an der Staatsgrenze (ist der globale Klimawandel ein Fall für lokale Optimierung?)
In Bezug auf den Klimaschutz und die Treibhausgase zeigt sich die Problematik der lokalen Optimierung: von kritischer Relevanz ist nämlich, ob die Existenz höherer Kapazitäten am Flughafen Wien dazu führt, dass die nachgefragten Flugbewegungen gar nicht stattfinden oder in Richtung anderer Flughäfen verlagert werden. Im Übrigen ist auch die Zurechnung der Emissionen für alle in Österreich stattfindenden Starts selbstverständlich inhaltlich falsch und ökonomisch irreführend. Tritt beispielsweise das durchaus realistische Szenario ein, dass viele der Flugbewegungen statt über Wien ohne dritte Piste über Bratislava abgewickelt werden, dann wird klar ersichtlich, dass die Gesamtemissionen aufgrund weiterer zusätzlicher Sekundärtransporte zwischen Bratislava und Wien wohl insgesamt ansteigen werden.
„In der österreichischen Bundesverfassung sowie der Niederösterreichischen Landesverfassung wird dem Umweltschutz – und hier dem Klimaschutz im Besonderen – ein besonderer Vorrang eingeräumt. Auch das Unionsrecht zielt mit Art. 37 GRC auf ein hohes Umweltschutzniveau ab. Da durch den Klimawandel mit schweren gesundheitlichen Schäden samt einer Zunahme von hitzebedingten Todesfällen sowie mit schweren Beeinträchtigungen der österreichischen Wirtschaft und Landwirtschaft zu rechnen ist, und es durch das Vorhaben zu einem markanten Anstieg an THG-Emissionen kommen wird, muss das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens hinter das öffentliche Interesse am Schutz vor den negativen Folgen des Klimawandels und der Bodeninanspruchnahme zurücktreten.“
Im Sinne einer lokalen Optimierung würden also die (einem durchaus als seltsam zu bezeichnenden Zuordnungssystem gemäß) Österreich zuzurechnenden Emissionen sinken, wenn es keine weiteren Flugbewegungen gäbe. Die flugverkehrstechnische sowie ökologische Frage, ob nicht ein Großteil der Anflüge auf Bratislava unmittelbar auch im österreichischen Luftraum zu Emissionen führen würde, wurde gar nicht weiter vertieft. Entscheidend ist, dass durch Kapazitätsmängel am Flughafen Wien die gesamte Transportleistung und damit der Ausstoß an Treibhausgasen global gesehen definitiv höher liegen würde, als bei Verfügbarkeit der kürzeren Transportrouten.
„Insgesamt überwiegt das öffentliche Interesse, dass es in Österreich zu keinem weiteren markanten Anstieg an THG-Emissionen durch Errichtung und Betrieb der dritten Piste kommt und Österreich seine national und international eingegangenen Verpflichtungen zur Reduktion der THG-Emissionen einhält gegenüber den verschiedensten öffentlichen Interessen, die für die Errichtung des Vorhabens sprechen.“
Optimiert also jedes Land für sich selbst die Treibhausgasemissionen, so ist es also sogar wahrscheinlich, dass die negativen Folgen des Klimawandels auch für das optimierende Land größer sein werden, als wenn insgesamt auf globaler Ebene (oder in unserem Fall zumindest auf europäischer Ebene bzw. im Donauraum) optimiert würde. Wohlgemeinte Klimaschutzmaßnahmen können in diesem Sinne also kontraproduktiv wirksam werden. Deshalb hat man auch den Klimaschutz im Flugverkehr europaweit geregelt und seit 2012 CO2 neutral gestellt , was dem Gericht aber entgangen sein dürfte. Somit sind vor diesem Hintergrund österreichische “Sonderwege” ökonomisch bedenklich, ohne damit letztlich der Umwelt zu nützen.
Die Bewertung knapper Ressourcen – der lokale Bodenverbrauch
Eine weitere interessante Facette ergibt sich aus der im Kern ökonomischen Frage, wie mit knappen Ressourcen umzugehen ist. Auch hier handelt es sich um Optimierungsentscheidungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Im Zusammenhang mit dem Flughafen wurde festgestellt, dass der Entgang an Wohlstand, der durch den Verbrauch von Ackerland entsteht (rund 660ha) schwerer wiegt als die Produktivleistung, die von einem Flughafen ausgeht:
„Auch ist die Erhaltung wertvollen Ackerlands für zukünftige Generationen zur Nahrungsmittelversorgung dringend geboten. Das öffentliche Interesse an der Errichtung der dritten Piste ist somit überwiegend nicht gegeben. Der Antrag der mitbeteiligten Parteien ist daher insgesamt abzuweisen.“
Man könnte nun lange darüber diskutieren, ob Ackerland in unmittelbarer Nähe des Flughafens in Hinblick auf die dort angebauten Nahrungsmittel besonders attraktiv ist und daher tatsächlich prioritär für aktive Landwirtschaft genutzt wird. Auch der Hinweis auf die Existenz von Stilllegungsprämien für landwirtschaftliche Flächen in der EU ließe sich an dieser Stelle wohl nicht in der nötigen Kürze erörtern (2015 wurden in Österreich für etwa 49.000 ha Flächenstilllegungsprämien bezahlt!). Ganz zu schweigen von der Frage, ob nicht auch Transportwege für Import oder Export von Nahrungsmitteln in Zukunft ebenfalls sehr relevant sein könnten.
Aus der Optimierungstheorie und auch der grundlegenden Volkswirtschaftstheorie ist jedoch bekannt, dass Ressourcen nur dann Kosten verursachen, wenn sie knapp sind. Unterstellt man nun tatsächlich eine zu erwartende Knappheit dieser landwirtschaftlichen Flächen (die in Relation zu den Gesamtflächen in Österreich vernachlässigbar sind), dann könnte diese ökonomisch anhand der Wertschöpfungen je Flächeneinheit oder auch auf Basis der Marktwerte dieser Flächen abgeschätzt werden.
Auf Basis der Verkehrsprognosen könnte man sich dieser Frage daher über die Abschätzung des sogenannten „Schattenpreises“ annähern. Die Idee ist dabei, den Engpassfaktor mit dem entgangenen ökonomischen Nutzen zu bewerten.
Geht man also für das Jahr 2025 von einer entgangenen Wertschöpfung von rund € 1,25 Milliarden aufgrund des Nichtvorhandenseins der nachgefragten Kapazitäten aus und setzt diese in Relation zu den etwa 660ha Bodenverbrauch, so ergibt sich eine jährliche Wertschöpfung einer Flächeneinheit für den Flugverkehr (auf Basis 2025) von rund 1,9 Mio. EUR/ha. Wäre die dritte Piste langfristig vollkommen ausgelastet, dann wären diese Effekte dann sogar rund doppelt so groß: maximal also etwa 3,8 Mio. EUR/ha.
Für 2013 belief sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich (der Einfachheit halber soll die ungenutzte Fläche vernachlässigt werden) laut Statistik Austria auf 2.728.558 ha. Für 2016 betrug der gesamte Bruttoproduktionswert (also inklusive Vorleistungen) in der österreichischen Landwirtschaft (gemäß der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung von Statistik Austria) 6,83 Mrd. EUR. Der durchschnittliche Produktionswert belief sich daher auf rund 2.500 EUR/ha.
Der Wertschöpfungseffekt je Flächeneinheit liegt also bei einer Flughafenpiste in etwa 760-mal so hoch wie bei (genutzter!) landwirtschaftlicher Fläche. Auch wenn man hier noch analog zu den Wertschöpfungseffekten beim Flughafen sekundäre Effekte (Kaufkrafteffekte) für die landwirtschaftliche Nutzung hinzurechnet, so ergeben sich Größenordnungen weit jenseits von 1:300-1:400.
Die Schattenseiten der lokalen Optimierung
Selbstverständlich handelt es sich bei all diesen Zahlen um grobe Abschätzungen der Größenordnungen. Genauere Analysen könnten viel zuverlässigeres Zahlenmaterial liefern. Die Grundaussage würde sich aber nicht ändern: sowohl in Hinblick auf die Wertschöpfungseffekte als auch unter dem Aspekt der Treibhausgasemissionen.
Lokale Optimierung ohne Blick über den Tellerrand führt also zu fehlerhaften Einschätzungen von Effekten und damit zu suboptimalen Entscheidungen – in der Theorie und, wie man sieht, auch in der Praxis.