Reizthema „Pensionen“?
Kaum ein Thema ist so kontroversiell wie das Thema „Pensionen“ – geht es doch um Zukunftssicherung für Menschen, die nach einem Erwerbsleben in einen sozial angemessen abgesicherten Ruhestand treten wollen. Eine gute Zukunftssicherung ist eine, auf die man sich verlassen kann. Somit sind Ängste vor Pensionskürzungen selbstverständlich ernst zu nehmen, ebenso Sorgen der jungen Generation, ob auch sie in den Genuss gesicherter Pensionen im Alter kommen wird.
Der Wunsch nach einer heilen (Pensions-)Welt ist nur allzu verständlich – allerdings haben Analysen verschiedener nationaler und internationaler Institutionen (EU-Kommission, OECD, Rechnungshof,…) aufgezeigt, dass die Nachhaltigkeit des Pensionssystems in Österreich leider keinesfalls als sicher anzunehmen ist und auch im internationalen Vergleich eher schlecht abschneidet.
Es geht also in erster Linie darum, eine realistische Analyse der Situation zur Grundlage der politischen Diskussion zu machen und möglichst viele Handlungsalternativen aufzuzeigen, welche Nachhaltigkeitsmechanismen im österreichischen Pensionssystem gestärkt oder auch implementiert werden können, um die Stabilität der Pensionen – und damit die Sicherheit der derzeit arbeitenden Menschen sowie künftiger Generationen – zu erhöhen.
Diese Zielsetzung verfolgte übrigens auch die im Finanzministerium (BMF) angesiedelte (ehrenamtliche) Arbeitsgruppe, deren vorläufige Ergebnisse kürzlich medial heftig diskutiert wurden (obwohl die Endfassung der Ergebnisse noch gar nicht vorliegt): eine Analyse der Ist-Situation und das Aufzeigen möglicher Stellschrauben. Also eine Art Speisekarte für die Politik, um innerhalb der Regierung und auch darüber hinaus eine offene Diskussion führen zu können. Es ging nicht um ein politisches „Pensionsreformkonzept“, auch nicht darum, neue Dinge zu (er)finden, sondern um eine Diskussionsbasis auf Grundlage bestehender Analysen und Maßnahmen aus dem internationalen Kontext. Es ist ja jedenfalls Aufgabe der Politik, zu entscheiden, welche der Stellschrauben (vorzugsweise in einem Mix aus Maßnahmen aus internationalen Beispielen) dann tatsächlich gedreht werden sollen. Eine Entscheidung und Wertung der Maßnahmen steht selbstverständlich jeder Person frei – kann aber nicht von einer „Expertengruppe“ geleistet werden, sondern muss einem politischen Diskurs unterworfen werden.
Nachhaltigkeit
Vorab: unser Pensionssystem ist derzeit nicht nachhaltig genug in dem Sinne, dass es ohne wiederholte äußere Korrekturmaßnahmen finanziell langfristig nicht stabil sein wird. Die Faktoren sind bekannt: die demografische Entwicklung, längere Ausbildungszeiten, kürzere Zeit im Erwerbsleben, sowie permanent steigende Lebenserwartung.
Vor 40 Jahren etwa haben Menschen im Schnitt 45 Jahre im Erwerbsleben zugebracht und 25 Jahre ohne Erwerbseinkommen, davon 17 Jahre in Ausbildung und acht Jahre in Pension. Heute hat sich diese Relation umgekehrt: im Schnitt kommen wir nur noch auf 38 Erwerbsjahre, mit denen 43 Jahre ohne Erwerbstätigkeit finanziert werden müssen, davon 22 Jahre mit Bezug einer Pension.
Aus all diesen Gründen steigen die Fehlbeträge im Pensionssystem (Differenzen zwischen Einzahlungen und Auszahlungen – der ominöse „Bundesbeitrag“) permanent an. Das bedeutet auch, dass die erwerbstätigen Personen einen immer größeren Teil ihres Einkommens über das Steuersystem für die Finanzierung des Pensionssystems aufwenden müssen – aber nicht für ihre eigenen zukünftigen Pensionsansprüche, sondern rein zur Bezahlung heutiger Pensionen. Das Grundproblem ist also eine Verteilungsfrage zwischen den Generationen in Verbindung mit der Tatsache, dass wir alle in Österreich im Schnitt mehr aus dem Pensionssystem erhalten als wir dazu beitragen. Aus naheliegenden Gründen ist das langfristig eben leider nicht nachhaltig und kann daher auch nicht funktionieren…
Prinzipiell stehen nun aus rein logischen Überlegungen (ohne Unterstellung, dass alle diese Maßnahmen dann im Detail wünschenswert und/oder gesellschaftspolitisch sinnvoll wären!) verschiedene Stellschrauben zur Verfügung:
- Erhöhung der Einnahmen des Pensionssystems
(z.B. höhere Beiträge, Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen, längere Zeit im Erwerbsleben) - Senkung der Ausgaben des Pensionssystems
(z.B. geringer Auszahlungshöhe bzw. „Nettoersatzquote“, kürzere Zeit in Pension durch späteren Pensionsantritt, geringere Pensionsanpassungen)
Im Detail sind daher viele Maßnahmen denkbar, die aber alle in die eine oder andere Richtung abzielen. Im internationalen Vergleich wird auch unterschiedlich damit umgegangen: Dänemark beispielsweise setzt massiv auf eine Anhebung des Pensionsantrittsalters, sodass dort möglicherweise in einigen Jahrzehnten Menschen erst mit 75 Jahren in Pension gehen werden (eine Perspektive, die ich persönlich in dieser rigorosen Form als nicht optimal erachte, weil die gesunden Lebensjahre nicht im gleichen Ausmaß steigen wie die Lebenserwartung insgesamt). Schweden wiederum setzt eher auf eine Ergänzung der ersten Säule im Pensionssystem durch die zweite Säule (teilweise verpflichtend!) sowie auf eine geringere Nettoersatzrate.
Leider bedeuten all diese Maßnahmen, dass es weniger Auszahlungen im Verhältnis zu den Einzahlungen geben wird, gemessen am (eben nicht nachhaltigen!) Status quo. Das „Menü“ an Handlungsalternativen ist eben eines, das Ausgaben und Einnahmen langfristig ins Gleichgewicht bringen soll… Aber das Problem wird nicht dadurch entschärft, dass man einfach zuwartet.
Pensionen, Planbarkeit und „Automatismen“
Oft wird auch darüber gestritten, ob es im Pensionssystem Automatismen geben soll oder nicht. Ein effizientes Pensionssystem ist jedenfalls für die Menschen planbar. Planbar wird ein System aber nur dann, wenn es klare Spielregeln gibt, die nicht alle paar Jahre wieder geändert werden. In diesem Sinne kann zum Beispiel das schwedische Pensionssystem als Vorbild dienen: die Auszahlungsleistungen ergeben sich im Prinzip aus den geleisteten Einzahlungen sowie der durchschnittlichen Zeit des Pensionsbezugs. Das Pensionsantrittsalters selbst ist in diesem System innerhalb gewisser Grenzen sogar frei wählbar, für Bezieher niedriger Pensionen gibt es selbstverständlich einen sozialen Ausgleich.
Das Thema Nachhaltigkeit im Pensionssystem sollte daher auch nicht mit Fragen der Verteilung und der sozialen Ausrichtung des Systems vermischt werden. Auch und besonders sogar in einem transparenten und nachhaltigen Pensionssystem, das langfristig im Gleichgewicht ist, können und müssen soziale Aspekte – noch dazu in einem wohlhabenden Land wie Österreich – berücksichtigt werden.
Auch wäre es ein fataler Trugschluss, alle notwendigen Maßnahmen zur Stabilisierung des Pensionssystems von heute auf morgen gleich umsetzen zu wollen. Da ein Pensionssystem eben auf Planbarkeit beruht, muss es darum gehen, rasch ein nachhaltiges und stabiles System zu entwerfen und auch mit Zeitangaben versehen zu beschließen, dann aber mit großzügigen Übergangsfristen auch den Vertrauensschutz von Menschen, die bereits in Pension sind oder knapp vor dem Pensionsantritt stehen, ernst zu nehmen und zu gewährleisten.
Zankapfel Frauenpensionsantrittsalter
Eine besondere Detailfrage des Pensionssystems betrifft auch das Pensionsantrittsalter von Frauen im Vergleich zu jenem von Männern. Es drängen sich kaum griffige Argumente dafür auf, dass bei längerer Lebenserwartung und damit längerer Pensionsbezugsdauer auch noch das Pensionsantrittsalter von Frauen prinzipiell niedriger als jenes von Männern liegen müsste.
Auf der anderen Seite ist es richtig, dass Frauen immer noch für gleiche Arbeit vielfach geringere Einkünfte als Männer beziehen (das wirkt sich auf die Pensionshöhe aus!) und in der derzeitigen Situation darüber hinaus vielfach auch durch Kindererziehungszeiten stärker von Armut in der Pension bedroht sind. Es ist aber nicht Aufgabe des Pensionssystems, über in ihrer Auswirkung auf die Pensionshöhe äußerst zweifelhafte Ungleichbehandlungen wie einen früheren Pensionsantritt hier Abhilfe zu schaffen – das können derartige Regelungen auch gar nicht leisten.
Vielmehr müsste man hier an der Wurzel des eigentlichen Problems ansetzen und den Gender Gap über geeignete Maßnahmen schließen oder zumindest möglichst reduzieren sowie beispielsweise für Kindererziehungszeiten (dann sowohl bei betroffenen Männern als auch Frauen!) transparente Beitragsgutschriften auf das Pensionsskonto vornehmen. Auch „Splitting-Modelle“ sind durchaus diskussionswürdig, bei denen im Rahmen von Partnerschaften und/oder gemeinsamer Kindererziehung die Pensionsbeiträge gleichermaßen den Partnern auf ihren jeweiligen Pensionskonten gutgeschrieben werden. Und selbstverständlich gilt auch hier, dass es sinnvolle Übergangsfristen und Einschleifregelungen geben muss.
Vorläufiges Fazit
Die Herausforderungen an des Pensionssystems sind leider erheblich, die Nachhaltigkeit langfristig keinesfalls derzeit gesichert. Maßnahmen, die in Form von Stabilitätsmechanismen oder Nachhaltigkeitsmechanismen das Pensionssystem finanziell stabiler und unabhängiger von der Entwicklung exogener Faktoren machen, gibt es im internationalen Vergleich bereits in verschiedensten Ausprägungen. Die Diskussion in Österreich, die sich vorwiegend um das Pensionsantrittsalter dreht, greift hier deutlich zu kurz. Grundlegende strukturelle Maßnahmen sind dringend erforderlich. Und hier wäre eine offene öffentliche Diskussion ohne Tabus sehr wünschenswert, weil wir als Gesellschaft letztlich selbst entscheiden wollen und auch müssen, an welchen dieser Schrauben wir letztlich drehen wollen. Dass wir aber an Schrauben drehen müssen, wenn auch künftige Pensionen gesichert sein sollen, das sollte in einer politischen Diskussion nicht die Frage sein. Denn nur ein gesichertes Pensionssystem kann den Menschen auch die Sicherheit im Alter geben, die sie zu recht in einem Land wie Österreich erwarten.