Die „größte Steuerreform aller Zeiten“?
Vom Volumen her ist die Steuerreform mit fünf Milliarden Euro tatsächlich eine große Steuerreform. Diese Tarifreform geht auch generell sicher in die richtige Richtung, wenn als Ziel eine Verflachung der Progression und damit die Entlastung mittlerer Einkommen im Vordergrund stehen soll. So verwundert es auch nicht, dass die Regierung bereits vor Monaten weitestgehende Einigkeit über den Tarif herstellen konnte.
Eine wirklich mutige Tarifreform ist es dennoch nicht geworden: Die Einrechnung der extrem komplexen und unhandlichen Steuerbegünstigung der Sonderzahlungen (13. und 14. Gehalt) für die Unselbständigen und des Gewinnfreibetrags für die Selbständigen ist ebenso ausgeblieben wie eine radikale Vereinfachung im Bereich der Steuerausnahmen. Auch die kalte Progression wird nicht durch eine automatische Anpassung der Grenzwerte der Tarifstufen abgeschafft. Ebenso wird eine Umstellung auf ein stufenloses System (siehe Gleittarif) nicht vorgenommen.
Abseits vom Tarif sind die großen Veränderungen ebenfalls ausgeblieben. Was Fragen der Steuerstruktur betrifft, ist man noch sehr konventionell geblieben. Da bleibt noch viel Raum für zukünftige Reformen, sowohl im Bereich des Steuersystems als auch insbesondere im Bereich des Transfer- und Sozialversicherungssystems oder bei den Lohnnebenkosten.
Gegenfinanzierung
Die Gegenfinanzierung ist zu etwa 1 Mrd. EUR über Ausgabensenkungen vorgesehen. Das ist einerseits nicht so viel wie erhofft, andererseits aber kurzfristig gar nicht so einfach zu erreichen. 2 Mrd. EUR sollen über Steuerbetrugsbekämpfung erwirtschaftet werden, 850 Mio. EUR über Selbstfinanzierungseffekte. Der Rest betrifft Erhöhungen im Bereich der Umsatzsteuer, der Grunderwerbsteuer sowie der Kapitalertragsteuer.
Damit wird klar, dass zumindest ein nicht unerheblicher Teil der Tarifentlastung über Steuererhöhungen wieder wettgemacht wird. Eine nachhaltige Senkung der Steuer- und Abgabenquote ist also nicht zu erwarten, der gesamtwirtschaftliche Entlastungseffekt für das Budget daher möglicherweise geringer, als die erwarteten 850 Mio. EUR.
Auch die anderen Gegenfinanzierungsmaßnahmen scheinen am oberen Rand der Prognosen angesiedelt zu sein: Auch wenn Steuerbetrugsbekämpfung langfristig ein gewisses Potenzial hat (und auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit jedenfalls – unabhängig von der Steuerreform – verstärkt verfolgt werden muss), so dürften derartig hohe Einnahmen letztlich nicht kurzfristig zu erzielen sein. Und außerdem sind diese Maßnahmen auch einnahmenseitige Maßnahmen, die keinen dämpfenden Effekt auf die Steuerquote ausüben (mögen sie noch so sinnvoll, begrüßenswert und gerecht sein).
Auf die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 55% hätte man übrigens getrost verzichten können, dieser symbolische Akt für etwa 400 Personen belastet in internationalen Vergleichen den Standort unnötig, da immer die Höchststeuersätze in den Statistiken ausgewiesen werden. Diese Anhebung hat aber neben der Rettung des Anscheins einer „Millionärssteuer“ auch den pragmatischen Grund, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen damit erst die Anhebung der KeSt auf 27,5% technisch ohne Verfassungsmehrheit möglich wird.
Effekte auf den Budgetpfad
Sollte sich also tatsächlich die Gegenfinanzierung als zu optimistisch angesetzt herausstellen, dann könnten im Budget Mindereinnahmen von einigen hundert Mio. EUR oder sogar im Miiliardenbereich drohen – und das insbesondere im Jahr 2016, wenn Österreich nun endgültig das strukturelle Nulldefizit erreichen muss.
Ironischerweise bedeutet das auch, dass dann verstärkt Maßnahmen auf der Ausgabenseite gesetzt werden müssen, sodass über diesen Umweg dann vielleicht doch noch die langfristig wichtige Senkung der Steuer- und Abgabenquote erforderlich sein könnte. Denn Steuererhöhungen knapp nach der „großen Steuerreform“ wären politisch wohl kaum zu argumentieren – und neue Schulden wären letztlich nur eine Verlagerung des Problems in die Zukunft und die Steuern von morgen und darüber hinaus derzeit im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Bonitäten öffentlicher Rechtsträger in Österreich undenkbar. Für den Stabilitätspfad könnte es nun in den nächsten Monaten tatsächlich eng werden.
Fazit
Auf der Tarifseite wurde ein solides, wenn auch nicht übermäßig innovatives Paket geschnürt, das auch vom Volumen her im sinnvollen Bereich ist und mittlere Einkommen wirksam entlastet. Große Knalleffekte und strukturelle Reformen bleiben aus – die eher unpopulären einnahmenseitigen Maßnahmen reduzieren den Nettoenlastungseffekt aber schließlich leider doch merklich. Inhaltlich und/oder emotional heikle Themen wie die Anhebung der KeSt (ohne Senkung der Körperschaftsteuer im Gegenzug!) oder die Aufweichung des Bankgeheimnisses dürften politisch noch nicht endgültig gegessen sein: Bei der KeSt wäre eine Verfassungsmehrheit erforderlich, das Bankgeheimnis ist in Österreich ein sehr emotionales Thema. Die Steuerreformdebatte ist daher sicher noch nicht abgeschlossen. Und es bleiben trotz einiger Schritte in die richtige Richtung beim Tarif (und einigen Fehltritten bei der Gegenfinanzierung) auch noch viele Themen für künftige Reformen übrig: beispielsweise radikale Vereinfachungen bei den Bemessungsgrundlagen und den Tarifausnahmen, die Schnittstellen zum Sozialversicherungs- und Transfersystem, eine nachhaltige Senkung der Steuer- und Abgabenquote über die Ausgabenseite (siehe ausgabenseitige Einsparungsmöglichkeiten).